„Das ist ja mal wieder typisch Einzelkind!“ Solche oder ähnliche Aussagen hat bestimmt jede(r) von uns schon einmal gehört. Es gibt einige Vorurteile gegenüber Einzelkindern, die sich geschwisterlose Menschen auch noch heute immer mal wieder anhören dürfen. Welche Vorurteile die Gängigsten sind, woher sie kommen und ob sie stimmen, erklären wir dir in diesem Beitrag.
Woher kommen die Vorurteile über Einzelkinder?
Die Vorurteile über Einzelkinder entstanden ungefähr am Ende des 19. Jahrhunderts. In vielen Ländern, so auch in Deutschland, war es damals sehr ungewöhnlich, wenn Familien nur ein Kind hatten. Die meisten Familien hatten sogar bis zu fünf Kinder. Daher war sich auch die Wissenschaft schnell einig. Der anerkannte amerikanische Kinderpsychologe Stanley Hall ging zum Beispiel davon aus, dass Einzelkinder aggressiv und streitlustig seien und bezeichnete sie als eine „Krankheit in sich“. Auch wenn solche Aussagen aufgrund von neuen Studien heute eher nicht mehr getätigt werden, halten sich bestimmte Vorurteile über Einzelkinder dennoch sehr hartnäckig.
1. Vorurteil: „Einzelkinder sind egoistisch“
Ja, dieses Vorurteil ist wahrscheinlich das Bekannteste. Aber in mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass Einzelkinder nicht egoistischer sind als Menschen mit Geschwistern. Laut Psycholog*innen könnte es daran liegen, dass Kinder heutzutage oftmals früher in den Kindergarten und in die Schule geschickt werden. Somit treffen auch Einzelkinder sehr früh auf andere Kinder und müssen sich auch mit ihnen auseinandersetzen. Außerdem sollten Eltern verstärkt darauf achten, dass ihr Kind in der Freizeit durch z.B. einen Sportverein mit gleichaltrigen Kindern in Kontakt kommt.
2. Vorurteil: „Einzelkinder sind überbehütet“
Überbehütung bedeutet in den meisten Fällen Unselbstständigkeit im Erwachsenenalter. Auch hier konnten Studien zeigen, dass die meisten Einzelkinder als Erwachsene nicht unselbstständiger waren als Menschen mit Geschwisterkindern. Natürlich haben Eltern, die „nur“ ein Kind haben, rein theoretisch mehr Zeit, um sich um dieses zu kümmern. Aber auch das ist nicht immer der Fall. Und mehr Aufmerksamkeit bedeutet nicht automatisch, dass die Kinder überbehütet werden oder dann später unselbstständig sind. Allerdings scheint auch hier der Umstand, dass Kinder in der heutigen Zeit bereits in den ersten Lebensjahren außerhalb der Familie betreut werden, eine große Rolle zu spielen. Damit lernen sie nämlich früh, sich für ihre Wünsche einzusetzen. Dennoch warnen einige Forscher*innen und Psycholog*innen davor, dass Einzelkinder von sämtlichen Familienmitgliedern zu sehr verwöhnt und ihnen alle Wünsche restlos erfüllt werden. Denn Studien konnten auch zeigen, dass Einzelkinder oftmals eine engere Beziehung zu ihren Eltern haben. Das heißt, Eltern sollten darauf achten, dass sie ihr Kind nicht zu sehr verhätscheln und sie sollten ihrem Kind Grenzen zu setzen.
3. Vorurteil: „Einzelkinder können nicht teilen“
Fakt ist, dass Einzelkinder natürlich weniger materielle Dinge teilen müssen, sie keine Geschwisterrivalität erleben und nicht um Rechte mit anderen kämpfen müssen. Aber diese Umstände bedeuten noch lange nicht, dass Einzelkinder nicht teilen können. Es konnte zwar nachgewiesen werden, dass Einzelkinder beim Start in die Kita größere Probleme mit dem Teilen haben als Geschwisterkinder. Aber Kinder mit Geschwistern sind es auch ja auch gewohnt, zu teilen. Das heißt einfach, dass Einzelkinder das Teilen lernen müssen, so wie alle anderen Kinder auch. Die Forschung hat aber auch gezeigt, dass Einzelkinder, wenn sie älter sind, sogar oftmals besser teilen können. Das liegt vor allem daran, da sie in den meisten Fällen nicht das Gefühl hatten, zu kurz zu kommen. Da sie aber das Teilen wie alle anderen Kinder auch erst lernen müssen, sollten Eltern bewusst den Kontakt mit anderen Kindern fördern, damit das eigene Kind lernt zu teilen.
4. Vorurteil: „Einzelkinder sind weniger beliebt“
Auch dieses Vorurteil konnte in mehreren Studien widerlegt werden. Einzelkinder haben zwar bei der Eingliederung in die Kindergartengruppe häufig mehr Schwierigkeiten, sind aber dennoch genauso beliebt wie Kinder mit Geschwistern. Sie sind ebenfalls sozial kompetent, besitzen genauso Feingefühl, sind in Gruppen nicht aggressiver und haben ebenso viele Freunde. Die Soziologin Judith Blake konnte sogar nachweisen, dass Einzelkinder motivierter seien, Bekanntschaften mit anderen zu machen.
5. Vorurteil: „Einzelkinder sind altklug“
Es stimmt natürlich, dass sich Einzelkindern (aber auch Erstgeborene) zwangsläufig stärker an ihren Eltern orientieren. Dazu kommt, dass die meisten Einzelkinder auch oftmals mehr bei den Hausaufgaben und ihren Freizeitaktivitäten unterstützt und besonders gut gefördert werden. Deswegen seien ihre Leistungen häufig gut. Das wiederrum bringt manchen den Ruf eines „neunmalklugen Besserwissers“ ein. Aber auch hier zeigt sich, dass der regelmäßige Kontakt zu anderen Kindern von Anfang an wichtig ist, damit sich Einzelkinder auch bezüglich ihres Wortschatzes sowie ihrer Verhaltensweisen an anderen Kindern orientieren können.
Fazit
Es konnte also gezeigt werden, dass Einzelkinder keine typischen Eigenschaften aufweisen und die Vorurteile über sie durch viele Studien widerlegt wurden. Im Gegensatz zu früher sind Einzelkinder auch keine sozial isolierten Kinder mehr, die kaum Kontakt zu Gleichaltrigen hatten. Im Gegenteil – aufgrund des frühen Kita-Starts wachsen Einzelkinder ebenfalls mit anderen Kindern auf. Es sind eher die Lebensumstände, die die Persönlichkeit des Kindes prägen. Das Bildungsniveau, der finanzielle Status der Familie, der Erziehungsstil und die Werte, die vermittelt werden, haben einen viel größeren Einfluss auf das Kind als die Anzahl der Familienmitglieder. Somit müssen Einzelkinder nicht länger bemitleidet, beneidet oder skeptisch beäugt werden, nur weil sie geschwisterlos sind.