Wie entsteht eigentlich die Persönlichkeit eines Menschen? Diese Frage hat sich wohl jeder schon einmal gestellt und auch Wissenschaften wie die Psychologie und die Philosophie sind auf der Suche nach Antworten. Zu den fundiertesten Theorien zu diesem Thema gehört die Bindungstheorie nach Bowlby und Ainsworth. Was dahinter steckt, verraten wir dir in diesem Magazin-Artikel.
Was ist die Bindungstheorie?
Grundsätzlich handelt es sich dabei um eine Teildisziplin der Psychologie, welche biologische, entwicklungspsychologische und psychoanalytische Erkenntnisse vereint und somit ein wichtiger Eckpfeiler der modernen Objektbeziehungstheorie ist. Im Klartext heißt das, dass die menschliche Entwicklung nicht mehr nur als Ergebnis von angeborenen Trieben, Instinkten und Konditionierung betrachtet wird, sondern auch als Produkt von zwischenmenschlicher Interaktion. Der soziale Kontext rückt also in den Vordergrund und somit tut es auch die Eltern-Kind-Beziehung. Die Kernaussage dabei lautet: Die Erfahrungen, die wir als Kinder machen sind derart intensiv und prägend, dass sie sich ein Leben lang auf unser Verhalten auswirken.
Wie funktioniert Bindung?
Bindung beginnt in den Genen, denn es gibt ein genetisch vorgeprägtes Bindungsverhalten, das bei jedem Menschen innewohnt. Unsere Natur möchte, dass wir uns an eine oder mehrere Personen binden. Die Bindung an sich erfolgt dann im ersten Lebensjahr und zwar an maximal zwei bis drei Personen. Interessant ist, dass dies nicht automatisch mit den biologischen Verwandten geschieht, sondern dort, wo Bedürfnisse und Gefühle des Babys befriedigt und erwidert werden. Das Grundbedürfnis nach Bindung und Aufmerksamkeit bleibt ein ganzes Leben bestehen und prägt den Kontakt und das Verhalten gegenüber unseren Mitmenschen. Durch die Qualität der Bindung in den ersten beiden Lebensjahren entsteht gewissermaßen die Grundausstattung für unser emotionales Erleben, auf welches alle unsere späteren Erfahrungen auf die eine oder andere Art aufbauen.
Diese verschiedenen Bindungstypen gibt es
Es gibt vier unterschiedliche Bindungstypen, die durch Experimente identifiziert werden konnten. In diesen Versuchen ging es darum, wie sich Kinder verhalten, wenn sie von ihrer Bezugsperson, in diesem Fall der Mutter, getrennt werden. Das Verhalten der Kinder gibt dabei über zwei Aspekte Aufschluss: Den Charakter der Bezugsperson und den Bindungsstil, den das Kind selbst erlernt hat und der im späteren Leben auch das eigene Bindungsverhalten inklusive der Erziehung der eigenen Kinder beeinflussen wird.
1. Sichere Bindung
Bei der Trennung von der Bezugsperson fangen die Kinder an zu weinen, schreien oder klammern, wodurch sie zeigen, dass sie mit der Trennung nicht einverstanden sind. Kehrt die Mutter dann zurück, reagieren sie mit Freude, suchen Körperkontakt und wollen getröstet werden. Nachdem sie sich beruhigt haben, wenden sie sich wieder ihrer Umgebung zu. Dieses Verhalten zeigt, dass die Kinder sowohl mit Nähe als auch mit Distanz angemessen umgehen können. Ist die Bezugsperson reflektiert, selbstbewusst, respektvoll, empathisch und verfügt über ausreichend Frustrationstoleranz führt das zu einer sicheren Bindung. Dazu zählen etwa 50 bis 60 Prozent aller Kinder.
2. Unsicher-vermeidende Bindung
Äußerlich wirken die Kinder ruhig und abgeklärt, was oft als pflegeleichtes Verhalten oder Selbstständigkeit fehlinterpretiert wird. Tatsächlich handelt es sich aber um einen Versuch Stress auszugleichen, also eine Art Kompensationsstrategie. Faktoren wie eine erhöhte Herzfrequenz und die Ausschüttung bestimmter Hormone bestätigen das. Die Kinder zeigten bei der Trennung kein Bindungsverhalten und ignorieren es, wenn die Mutter den Raum verlässt. Auf ihre Rückkehr reagieren sie mit Ablehnung, wenden sich ab und wollen nicht auf den Arm genommen und getröstet werden. Dieser Bindungstyp entsteht durch eine distanzierte und abweisende Einstellung der Bezugsperson. Die Kinder versuchen die Bindung zu vermeiden, weil ihr Bedürfnis nach Geborgenheit, Trost und Sicherheit dort nicht ausreichend gestillt wird. Im späteren Leben zeigen sie ein großes Unabhängigkeitsbestreben und eine Überbetonung von Selbstständigkeit, Stärke und Willenskraft. Circa 10 bis 15 Prozent aller Kinder zählen dazu.
3. Unsicher-ambivalente Bindung
Dieser Bindungstyp entsteht, wenn die Bezugsperson nicht in der Lage ist, dem Kind das Gefühl von Sicherheit und Schutz zu vermitteln. Das Gegenteil ist der Fall: Sie reagiert für das Kind nicht zuverlässig und nicht nachvollziehbar. Die Kommunikation ist häufig missverständlich und zum Teil angstauslösend und Druck erzeugend. Diese Doppeldeutigkeit spiegelt sich in der Reaktion des Kindes und es zeigt abwechselnd klammerndes und abweisendes Verhalten. Nach einer derart negativen und widersprüchlichen Bindungserfahrung, ist es verständlich, dass unsicher-ambivalente Kinder im Erwachsenenalter ebenfalls schlecht darin sind, ihrem eigenen Nachwuchs Empathie und Feingefühl entgegenzubringen, da sie die eigene Kindheit als belastend empfanden und nicht gelernt haben, was positives Bindungsverhalten bedeutet. Ungefähr 10 bis 15 Prozent zählen dazu.
4. Desorganisierte Bindung
Sie entsteht, wenn das Bindungsverhalten in hohem Maße gestört wird und sich eine schwerwiegende Störung entwickelt, die zu psychischen Auffälligkeiten und Krankheiten führen kann. Die Kinder zeigen ein uneindeutiges und orientierungsloses Verhalten voller Widersprüche, wie etwa das gleichzeitige Verlangen und Ablehnen der Nähe zur Bezugsperson. Beispielsweise laufen sie erst auf die Mutter zu und bleiben dann auf der Hälfte des Weges stehen oder erstarren bei ihrem Anblick. Die desorganisierte Bindung tritt vor allem bei Kindern auf, die unter Vernachlässigung, Misshandlung oder Missbrauch leiden müssen beziehungsweise mussten. Dementsprechend sind die Bezugspersonen selbst meist traumatisiert und haben viele negative Erfahrungen in der eigenen Kindheit durchgemacht. Durch ihre eigene fehlende Stressresistenz lösen sie bei ihren Kindern eine ständige Alarmbereitschaft aus, die sie aber nicht beruhigen können. Desorganisierte Verhaltensweisen können kurzfristig auch bei anderen Bindungstypen auftreten. Erst, wenn sich das Verhalten dauerhaft einstellt, spricht man von der einer desorganisierten Bindung, was bei etwa 5 bis 10 Prozent der Kinder der Fall ist.
Fazit
Alles in allem sind die genannten Bindungstypen, abgesehen von der sicheren Bindung, alle fehlerhaft jedoch nicht krankhaft. Das Bindungssystem von Kindern ist sehr robust und nur in circa 3 bis 5 Prozent der Fälle kommt es zu einer ernsthaften Bindungsstörung. Des Weiteren bilden Kinder verschiedene Bindungsqualitäten zu verschiedenen Bezugspersonen aus, wobei es aber immer eine Hauptperson gibt, durch die auch das dominante Bindungsverhalten bestimmt wird. Jetzt weißt du was mit Bindung gemeint ist und welche verschiedenen Bindungstypen es gibt. Im zweiten Teil des Artikels gehen wir darauf ein, wie unser Bindungsverhalten unsere Lebensart bestimmt.